Warum jagen?

 

Es gibt über 360.000 Jäger (=Jagdscheininhaber)  in Deutschland, davon sind 10 % Jägerinnen, in Bayern 15 %. In den Jagdschulen sind derzeit 20 % der Aspiranten weiblich, Tendenz - wie man so sagt - steigend. Jägerinnen werden häufiger als Männer gefragt, warum sie  Tiere töten. Deshalb zitiere ich deren Gründe aus einem FAZ-Artikel. Sie produzieren gesunde Lebensmittel, wird da gesagt, die Tiere hätten ein schönes Leben gehabt, keine Massentierhaltung, kein Kraftfutter, keine Hormone, keine industrielle Tötung in den Schlachthöfen. Die Kugel der Jägerin bedeute einen stressfreien Tod. Diesen Begründungen schließe ich mich an.

 

Darüber hinaus gibt es weitere Gründe, sich mit dem Thema Jagd näher zu beschäftigen. Einmal ist es die Neugier, vergleichbar der Neugier, ein unbekanntes Land kennenzulernen. Welche Wildarten sind bei uns heimisch (Gemsen in Baden-Württemberg)? Wie lebt das Wild? Im Sommer, im Winter? Wie ist der Lebenszyklus von der Brunft über die Geburt, Adoleszenz, Sozialverhalten bis zum Verenden? Von welchen Krankheiten sind die Tiere befallen? Wer sind die Jäger, welchen Berufen gehen sie nach, welche Interessen vertreten Jäger und Förster? Das alles kann man nur "mittendrin" erfahren.

 

Link: http://www.welt.de/geschichte/article132257374/Erst-die-Jagd-machte-den-Menschen-zum-Menschen.html  

So ist ein Artikel in der Welt überschrieben, der sich mit dem neuen Buch von Parzinger befasst (Hermann Parzinger, Die Kinder des Prometheus). Der Archäologe hält die Jagd für das "entscheidende movens" in der Entwicklung des homo erectus vor zwei Millionen Jahren. Fleisch wird zum "Kulturmotor". Der homo erectus hat durch Proteinversorgung evolutionäre Vorteile in der Körperentwicklung und vor allem in der Entwicklung des Gehirns. Er jagt gemeinschaftlich d.h. wohlüberlegt, planvoll und innerhalb der Gruppe wohlabgestimmt.

 

Mit der Jagd habe ich für mich persönlich den Bogen von der Musik, einem vorläufigen Endpunkt menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten hin zum Ursprung der Menschheit geschlagen. Musik ist das intellektuelle Ende der bisherigen Entwicklung; die Jagd ist der Auslöser dieser Entwicklung.   

 

So schreit' ich "in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus" und versuche mählich zu begreifen, was Rilke meint.

 

Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns ...

Rein ist im heiteren Geist,

was an uns selber geschieht.  

(aus: Die Sonette an Orpheus)

 

Jägerprüfung im September 2014

 

 

Am 09.09.2014 habe ich das grüne Abitur bestanden. Mit diesem Vergleich übertreibe ich nur wenig. In wenigen Kurswochen war eine Fülle von Theorie zu pauken. Dazu kam Jagdpraxis. Schießen, Aufbrechen von Wildsauen und Rehwild, Bauen von Hochsitzen, Ansitzen auf denselben usw.

 

Die Prüfung fand an drei Tagen statt, war vom Landesjagdverband sorgfältig vorbereitet und wurde peinlich genau durchgeführt. Die Jagdschule Eberle und Simon in Kohlberg hatte gute Arbeit geleistet. Ich kann sie nur wärmstens weiterempfehlen.

 

 

Jagdberichte  

  

"Nichts geschossen ist auch gejagt". Mit dieser Aufschrift wurde in der "Pirsch" ein T-Shirt zum Kauf angeboten. In der Tat habe ich 10 beutelose aber ereignisreiche und spannende Ansitze um Gammertingen, bei Mariaberg und im Fehlatal zwischen dem 10.11., dem Datum meines ersten Jagdscheins, und dem 20.12.2014, dem Tag meines ersten erfolgreichen Abschusses erlebt. Aber dazu später.

 

Beim ersten Ansitz abends- es ging auf Rehe, Sauen und Hasen - passierte im 20-Minuten-Takt folgendes: Ein Riesenlastwagen mit angebautem Kran fuhr heran. Direkt vor unserer Kanzel lag ein Stapel Holz. Den hub der Fahrer an aufzuladen. Der Fahrer grüßte zu uns hoch. Man kannte sich.

Dann tuckerte ein Traktor mit leerem Anhänger am Hochsitz vorbei. Danach ein Traktor mit Anhänger und Begleitauto. Geraume Zeit später kamen beide Gespanne vollbeladen wieder zurück und der Ansitz war beendet. Die Rehe waren verständlicherweise ob solcher Verkehrsbelastung des Waldweges ohne Appetit und verschmähten die ausgelegte Kirrung. Wir baumten ab.  

 

Beim zweiten Ansitz saßen wir im Wald vor einer Lichtung, in deren Mitte mit Apfeltrester angekirrt war. Die Aufregung war groß, als ein Reh vom Bock über die Lichtung getrieben wurde. "Eine Geiß, die kannst Du schießen" wurde mir zugeflüstert. Ich nahm die Geiß ins Visier des Zielfernrohrs. "Nachfahren" hörte ich. Allein - die Geiß stand nicht zu. Ständig waren Buchen im Bild und von der Geiß nur der Kopf zu sehen. Dann sprang sie ab. Sie zeigte sich noch einmal als wir vom Hochsitz kletterten. An Schießen war nicht mehr zu denken.

 

Der dritte Ansitz in einem der schönsten Teile des Fehlatals brachte mir einen Fuchs in Anblick, der sich direkt vor meinem Sitz löste und dann ohne Eile im Wald verschwand. Kein Reh, nirgends.

Das blieb so die nächsten sieben Ansitze. Das Wild hatte nach einem Mastjahr im Wald genug zu fressen und keine Veranlassung, wagemutig an die Kirrung zu gehen oder sich gar außerhalb des Waldes zu zeigen.

 

Na dann eben zur Treibjagd!

 

Passenderweise ereilte mich eine Einladung zur Treibjagd auf 20.12.2014 im oberen Neckartal. Vier Triebe, zwölf Schützen, sechs Treiber, auf Rehe, Sauen, Füchse, Hasen, Beginn 8.00 Uhr.

 

Erster Trieb, erster Fehler     

Mein Ansteller hatte mich am Drückjagdsitz abgesetzt. Ich stellte das Gewehr ab, legte meinen Pullover auf den Baumstumpf, der als Sitz diente, zog das Handy, um die historische Begebenheit für die sicher hochinteressierte Mit- und Nachwelt festzuhalten. Das Bild unten wurde genau um 8.30 Uhr aufgenommen.

 

Und um 8.30 und 10 Sekunden schnürt vor mir ein Riesenfuchs über den Hang. Keine 20 Schritt von mir weg. Ich greife ganz langsam zum Gewehr. Fuchs geht weiter. Fuchs verschwindet hinter Gebüsch. Ich lade und entsichere. Ich mache einen Wahnsinnskrach damit. Ich ziele hinter das Gebüsch und warte. Vergebens. Der Fuchs hat Lunte respektive mich gerochen, gehört und gesehen. 

 

Was habe ich daraus gelernt? Angekommen am Drückjagdsitz erst das Gewehr fertigmachen, dann den Hobbys nachgehen und nicht umgekehrt. 

 

Nach ungefähr einer Stunde zog eine Rotte Sauen durch. Allerdings zu weit weg für einen sicheren Schuss und zu nahe an der befahrenen Straße. Und immer wieder Bäume, Bäume, Bäume zwischen mir und dem Wild (siehe oben). Trotzdem beeindruckend, wie 15 Sauen in Reih und Glied vorbeidefilieren. Alles in allem über eine dreiviertel Tonne "Wildmasse".      

 

Zweiter Trieb, kein Fehler

Beim zweiten Trieb kam ich am Rande einer Schlucht zu sitzen (in der oberen Bildmitte schwach zu erkennen). Hinter mir die Schlucht, vor mir ein Waldweg, dann ein bewaldeter Hang. Oberhalb des Hangs die Straße.

Nach geraumer Zeit, vielleicht einer Dreiviertelstunde, beschloss ich "im Stehen anzusitzen" denn aus der Ferne waren Treiber zu hören. Gerade noch rechtzeitig um zwei Rehe fünf Schritt unterhalb meines Ansitzes an der oberen Schluchtkante entlangziehen zu sehen. Als die Tiere zu mir hochblickten, bewegte ich mich keinen Millimeter. Vorsichtshalber vermied ich auch noch Blickkontakt und schaute über die beiden Tiere hinweg. Sie hatten nichts oder wenigstens nichts bemerkt, was sie als gefährlich eingeschätzt hätten,  zogen etwas eiligeren Schrittes weiter und verschwanden kurz hinter Buschwerk (Bildmitte).  Als sie auf die andere Seite der Schlucht wechselten, war Gelegenheit, eines der Stücke zu erlegen. Ich repetierte mechanisch und beinahe lautlos. Nach dem Schuss war das zweite Tier in wenigen Sätzen nach oben abgesprungen und bewegte sich nun Richtung Wald. Kurz vor dem Wald ergab sich eine weitere Gelegenheit für einen zweiten (Blatt-) Schuss.

 

Jetzt aber Jagdfieber, und wie. Erster Gedanke beim zweiten Nachladen: Die Banalität des Bösen. Ja Hannah Arendt fiel mir ein beim mechanischen und weitgehend automatischen Ablauf der letzten Minute. Dann Glück, Stolz, Überraschung über so viel Jagdglück auf einmal nach den vielen Ansitzen auf der Alb, Verwunderung über die Beute, die mir in den Schoß gefallen zu sein schien. Irgendwie unverdient, zu einfach. Ein Dankgebet mit Blick zum Himmel. Erleichterung über die Wirkung der Schüsse. Nachsuchen waren nicht nötig. Hin- und Hertrippeln auf den Brettern des Ansitzes bis zur vereinbarten Zeit für "Hahn in Ruh'". Immerhin hatte ich das Jagdgewehr noch gesichert. Erste sms an meinen Gammertinger Mentor. Jetzt war es 11.38 Uhr, später Vormittag und die Treibjagd für mich zu Ende. Mehr konnte nicht kommen.

 

Aus der Ferne kam der Nachbarschütze auf mich zu. Ich winkte. Er winkte. Sein kräftiges "Waidmannsheil" holte mich endgültig auf den Boden zurück.        

 

Dritter Trieb, kein Wild

Wieder ein Ansitz vor einem ausgedehnten Waldhang. Hinter mir der Anfahrtsweg. Nach einer Stunde war Hahn in Ruh'. Diesmal war kein Wild zu sehen gewesen.

 

Vierter Trieb, kein Schuss

Gegen Ende der vereinbarten Zeit zeigte sich ein Fuchs zwischen Buchen, der es sehr eilig hatte den offenen Buchenbestand vor mir zu queren, um ins Unterholz zu verschwinden. Im Zielfernrohr tanzten Fuchs, Buche, Fuchs, Buche. Keine Gelegenheit zum Schuss.

 

Schüsseltrieb

Nach dem Streckelegen (3 Sauen, 4 Rehe) wurden die Brüche überreicht und in der Dunkelheit wurde die Strecke verblasen. Feierliche Stimmung allenthalben. 

 

Schüsseltrieb ist ein fester Jägerbegriff. Er bezeichnet das Vesper nach der Treibjagd. Es gab Köstliches vom Schwein. Erstaunlich, welcher Hunger sich nach einem solchen Waldtag aufbaut und welcher Drang, sich mitzuteilen. Der gewaltige Kommunikationsstau brach sich denn auch stundenlang Bahn.