Die Reise nach Peru Weihnachten 2015

 

Victor absolviert seit August ein Freiwilligen-Jahr des Bundesinstituts "Weltwärts". Genauer: Er gibt in einer Modellschule in Villa El Salvador bei Lima Violinunterricht auf schuleigenen Geigen.

 

Lima ist weit weg von Tübingen. Weihnachten war deshalb Familienzusammenführung bei Reins. Die vierköpfige Restfamilie machte sich am 17. Dezember via Frankfurt-Toronto nach Lima auf. Über den Flug ist nicht viel zu sagen, Lufthansa, Air Canada, guter Service. Über das Essen wollen wir nicht klagen, man befindet sich ja nicht im Sternerestaurant sondern über den Wolken.

 

Victor hat uns nächtens am Flughafen Chavez in Lima abgeholt. Er hat während dreier Wochen Höchstleistungen als Spanisch-Übersetzer gebracht, Konzentration fast rund um die Uhr. Er hat mit den Taxifahrern um den Preis gefeilscht, beim Hotelpersonal Beschwerden vorgebracht und mit dem Reisebüro die Konditionen der Urwaldreise mehrstündig verhandelt. Mein Italienisch wird auch verstanden aber die beiden Sprachen haben sich ausgerechnet bei den Wörtern, die am häufigsten verwendet werden, doch sehr auseinanderentwickelt (cuore - corazon geht ja noch aber giorno - dia, lavorare - trabajar). Englisch wird nur in Touristenorten gesprochen.  

 

Eine Stunde mit dem Taxi. Fünf Personen auf der Rückbank, zwei vorne. Straßen wie Hagelloch-Hohenentringen.

 

Wir wohnten bis Heiligabend bei  "Victors Familie" in Villa El Salvador an der Avenida Primero Mayo, sector 1 grupo 8. Zwischen den Fahrspuren der Avenida hat man versucht, einen 20 Meter breiten Park anzulegen. Aber alles was grünt, muss bewässert werden. Entsprechend sparsam ist der Bewuchs.

 

Es gibt unterschiedliche Angaben über die Größe der Lima-Vorstadt. Vielleicht sind es eine halbe Million Bewohner, die aus den Anden, der Sierra hierher gezogen sind. Eine Wüstensiedlung, in geometrische Gruppen aufgeteilt, 2.500 Einwohner pro Gruppe mit Sportplatz, Spielplatz, Gemeinschaftshaus. Hellgrauer, staubiger Sand bis an die Häuser. Der pulvrige Anteil im Sand ist hoch. Auffällig viel Müll liegt herum. Dazwischen wilde Straßenhunde. Sie haben häufig einen Eigentümer und sind nicht  immer verwahrlost. Die Veterinaria verhilft vielen Hunden zu einem ansprechenden Äußeren. Aber es gibt natürlich auch räudige Exemplare unter ihnen. 

Im Innern der Häuser ist es aber angenehm, Gefrierschrank, Waschmaschine, , Wlan, Computer usw. manchmal mit Auto. Die Häuser sind geräumig, in unserem Fall 150 Quadratmeter auf zwei Stockwerken für 5 Personen. Wegen der ungewöhnlichen Tiefe der Häuser Deckenhöhe 3 Meter. Einheimische berichten, dass Villa El Salvador in den letzten zehn Jahren sehr gewonnen hat.

 

Trotzdem haben sich mehrere Taxifahrer in Lima geweigert, uns in der Nacht dorthin zu fahren. Der Verkehr um Lima ist der Wahnsinn. Man hat versucht, eine Bus-Direktverbindung mit eigener Spur, die oder den Metropolitano nach Villa El Salvador aufzubauen. Wir haben diesen Bus auch benutzt. Er ist aber nicht voll, vielleicht weil er etwas teuer und das Ticketsystem kompliziert ist.    

 

Straßenbeleuchtung enger und daher nachts heller als in Tübingen. Quecksilberdampflampen mit orangenem Licht. Die Kanalisation funktioniert einwandfrei, Strom- und Wasserversorgung Standard. Jede Kilowattstunde Strom wird in Peru aus Wasserkraft gewonnen, keine Öl-, Gas-, Kohle- oder Atomkraftwerke. Die Anden liefern Wasser im Überfluss. Selbst in der Wüste zwischen Lima und Ica findet man überall Grundwasser, das zum Anbau von Früchten und Verdura sowie für Tierzucht verwendet wird. Kilometerweise Käfighaltung von Geflügel an der Pazifikküste. Pollo alla Brasa scheint ein Grundnahrungsmittel der Peruaner zu sein. Bäume entlang der Panamericana mit entsprechendem Wurzelwerk müssen nicht einmal bewässert werden; sie holen sich das Wasser aus über 15 Metern Tiefe selbst.

 

Peruaner sind nach unserem Eindruck ein sanftes, friedliches, genügsames, fleißiges Volk. Viele arbeiten  Tag und Nacht. Auf einer Taxifahrt von Lima nach Villa El Salvador, lange vor Mitternacht, bremste der Fahrer ohne Anlass einige Male. Nach einiger Zeit fanden wir des Rätsels Lösung. Er tat das vorsichtshalber jedes Mal wenn er aufwachte! Die Peruaner streiten nicht wie die Italiener. Sie hassen Streit. Männer dürfen in der Öffentlichkeit weinen. Zweimal beobachtet.    

 

Besuche in Lima, mindestens 8,5 Millionen Einwohner. Weltstadt mit neuem Marriott-Hotel am Pazifik, das in jeder Großstadt der Welt seinen architektonischen Platz hätte. Sehr gute Gastronomie, nicht teuer verglichen mit Tübinger Preisen. Weltstadtniveau haben auch die Stadtteile Callao mit dem Hafen, das Geschäftsviertel Miraflores, Barranco und San Miguel. SUV-Anteil im Straßenbild wie bei uns. Wenig deutsche Autos, mehr chinesischer, koreanischer und japanischer Herkunft. Mc Donalds, Starbucks, KFC, Burger-Ketten. Selbstbewusste reiche und sehr arme Leute auf den Straßen.

 

Tagesausflug mit dem Colectivo, dem meistbenutzten Verkehrsmittel, einem wirklich nur als Schrott zu bezeichnenden Van, nach San Pedro an die Pazifikküste. Wir haben neuere Ausgrabungen in Pachacámac am Pazifik besichtigt.  Sonnenkult der Inkas aus der Gegend von Cusco. Sitzgräber in der Wüste besichtigt. Quellanlagen, Pazifikstrand, Delphine gesehen.      

 

Heiligabend in Villa El Salvador. Die Jungs haben bei der Schlachtung von Cuys (Meerschweinchen) assistiert. Gemeinsamer Kirchgang um zehn. Auffällig der Jesuskind-Kult. Jede Familie lässt in der Kirche ein Krippchen mit Kind segnen. Danach Riesenfeuerwerk in Villa El Salvador. Geschenkeverteilung und großes Festessen (Meerschweinchen, Truthahn und Schweinefleisch, Gemüse, verdura, Reis, arroz, süßer peruanischer Rotwein, Kuchen) in der Familie um Mitternacht. Alles sehr gut, auch die cuys. Das Fleisch wurde außer Haus in einer Bäckerei für die ganze grupo gegart.    

 

Abschied von der peruanischen Familie am 25.12.2015. Mit dem Bus nach Nazca. Maria Reiche-Museum, Nazca-Linien. Dutzende Theorien zu Ursprung und Bedeutung. Unsere neue Theorie (alles Fake) wurde vom Guide als nicht haltbar abgelehnt.   

Mit einem unbeschreiblich dreckigen Bus in einer vielstündigen Fahrt nach Ica. Die Oase Huacachina haben wir von Ica aus mit dem Taxi angefahren. Immer vier hinten zwei vorne. Sehr angenehme Destination. Internationales Publikum. Ein Ort, die Seele baumeln zu lassen und Kraft zu schöpfen für die kommenden Reiseziele.  

 

Das Ziel heißt Arequipa und liegt auf 2.400 Metern. Diesmal reisen wir mit Cruz del Sur, einer der besten Busreisegesellschaften. Arequipa ist etwas größer als Stuttgart und hat das beste Abfallsystem der von uns bereisten Städte. Auf den öffentlichen Plätzen wird der Müll in vier (!) Fraktionen getrennt. Die Stadt macht einen wohlhabenden Eindruck. Die Sauberkeit in den peruanischen Städten scheint überhaupt eine Funktion der Prosperität zu sein und zwar eine direkt proportionale.   

 

Weiter mit dem Bus nach Cusco. Cusco ist halb so groß wie Arequipa, ebenfalls prosperierend und sauber. Große Inka-Vergangenheit. Prächtige Kolonialbauten der Spanier, die mit den Steinen der Inka hergestellt wurden. Besichtigung der umliegenden Zeugnisse der Inka-Baukunst, Saksaywaman. Granitmauern mit tonnenschweren Steinen mörtellos und fast fugenlos aneinandergefügt. Das ergibt grandiose Versteifungswerte der Mauern und jahrhundertelange Haltbarkeit. Eine Scheibe davon abgeschnitten, würde auch den Tübinger  Trockenmauern im Wengert gut tun.

 

Cusco liegt 3.500 Meter hoch. Nachatmen war der running family-gag. Stehenbleiben und nachatmen sobald es bergauf ging.    

 

Ausflug zum Machu Picchu an Silvester 2015 

 

Keine Peru-Reise ohne Machu Picchu. Anreise von Cusco nach Ollantaytambo am Urubamba-Fluss mit dem Taxi, dann mit dem Zug am Rio Vilcanota entlang bis Endstation Aguas Calientes am Machu Picchu. Mit dem Bus hoch auf 2.400 Meter. Führung durch die granitene Ruinenstadt, die für 600 Einwohner völlig autark funktionierte. Beeindruckend und gefährlich der Fluchtweg für die Bewohner, der Inkasteg. Eigene Wasserversorgung, eigener Getreide- und Früchteanbau auf den Terrassen. Wozu die Stadt wohl gut war? Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse darüber. Faszinierend die Wasserführung über kleine Granitrinnen durch die ganze Anlage. Ich habe mit dem Handy ein Video gemacht, das den Weg des Wassers nach unten zeigt. Das Frischwasser rinnt, läuft, eilt, verschwindet, taucht wieder auf, sprudelt in ein Becken. Es wendet sich nach rechts, nach links und verschwindet dann endgültig in einer unterirdischen Granitleitung. Einer der meistbesuchten Touristenziele in Peru, vielleicht in Südamerika. Monatelange Voranmeldungszeiten, auch für den Inkapfad.  

Insgesamt sehr anstrengender Tag. Die meisten Leute schlafen auf der Rückfahrt im Zug.

 

Jahreswechsel in Cusco

Es ist spät als wir in Cusco mit dem Bus ankommen. Kurzes Abendessen im Wirtschäftle hinter der Kathedrale, dann hoch auf eine Anhöhe um das Feuerwerk in Cusco besser beobachten zu können. Um zwölf fallen wir uns in die Arme. Je nach Kräftereserven mehr vor Müdigkeit oder mehr vor Glück.      

 

Drei Tage im Urwald 

"These are the driver, the cook and the guide",  wurden wir um fünfe am Neujahrstag an der Hotelrezeption begrüßt. Mit eigenem Fahrer, Koch und Guide ging es also in den Regenwald ins Quellgebiet des Amazonas. Dazu war eine  achtstündige Andenüberquerung mit dem Kleinbus erforderlich, der nach 20 Kilometern seine Zylinderkopfdichtung aufgab und einem Ersatzbus weichen musste.

Der Nationalpark Manu hat eine Größe von 1,5 Millionen Hektar. Man erreicht ihn von Cusco aus über Paucartambo, einer alten Inka-Versorgungsstation. Weiter in die Region Madre de Dios an den gleichnamigen Fluss. Das ist eine Höhendifferenz von 3.500 Metern, von 4.000 Metern auf 500 Meter in den cloud forest. Erster Lunch auf 3.560 Meter in Acjanaco. Unser Koch hieß Siro   

 

Am ersten Tag hatten wir noch eine komfortable Lodge mit elektrischem Strom und allem Pipapo auf 700 Meter bei Pillcopata. Nachtwanderung in den Dschungel. Der Dschungel macht einen erstaunlichen Krach und zwar die ganze Nacht. Schrecken und Frösche aller Art aber auch Vögel, die ungefähr wie unsere Rabenkrähen schreien. Wir schliefen einen Meter über dem Erdboden zum Schutz vor allerlei Getier (Schlangen, Ameisen usw.). In der Nacht sieht man Insekten, Frösche, Pilze und sogar Kaimane. Jedenfalls die roten Augen derselben.  

 

Am nächsten Tag haben wir am Morgen Papageien beobachtet und sind später bei Atalaya ins Boot umgestiegen. Alles Essen, Kleidung Ausrüstungsgegenstände ins Boot verladen. Auf dem Fluss, ungefähr 250 Meter breit, in die zweite Lodge gefahren. Dort alles ausgeladen. Die zweite Lodge  am Rio Madre de Dios ohne elektrischen Strom dafür mit haufenweise Moskitos, aber auch Kolibris vor dem Fenster in den Bromelien.

 

Mit dem Holzfloß in ein Reservat namens Cocha Machuwasi, ein vielversprechend lautmalerischer Name, der uns nicht enttäuschte. Auf dem Floß fühlt man sich schon mal sicher, vor allfälligen Angriffen der Tiger und Pumas. Riesige Truthahnvögel, Fische, Frösche, Kaimane, Spinnen, Orchideen. Der Dschungel ein heißer, lauter immerfort siedender Ort, an dem sich Entstehen und Vergehen genau die Waage hält. Man kennt den Dschungel ja von Bildern. Da wird das Lebende und das Entstehen des Lebens gezeigt. Das Vergehen sieht man nicht. Die erlöschende Biomasse ist schmutzig, nass und faulig. Wir waren dieserhalb alle mit besten Gummistiefeln ausgestattet.     

Nach nächtlicher Moskito-Picada um 4.30 Uhr zur Papageienbeobachtung. Papageien bleiben wie unsere Höckerschwäne am Neckar lebenslang zusammen und fliegen daher paarweise an. Die Papageien waren grün und damit optimal getarnt. Mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen, sobald sie in einen Baum hineingeflogen waren. Der Prädator Falke saß auf dem höchsten Baumwipfel ständig in der Nähe. Hin und wieder riss er etwas Fressbares im Flug und vertilgte die Beute. Unser Guide David hatte ein Swarovski-Glas 10 x 42 vom feinsten dabei. Außerdem ein Spektiv. Mit diesem konnte man schlafende Schwarzgesichtklammeraffen (die mit dem Schwanz greifen)  in 300 Meter Entfernung auf einem 50 Meter hohen Baum bestaunen. Frühstück am Boot auf dem Kiesstrand des Rio Madre de Dios. 

Wir waren immer hungrig und jede Mahlzeit war ein Fest. An diesen Hemingway-Satz waren wir erinnert. Unser Koch Siro hatte aber auch das letzte aus den mitgebrachten Vorräten mit seiner Kunst herausgeholt.

 

Auf der Rückfahrt großes Glück. Ein riesiger Tucan flog über die Straße und zeigte sich so lange - Siro hatte auf dem Handy den passenden Ruf eines Rivalen dabei - bis alle Fotos mit dem Handy durch das Fernglas gemacht waren.

Zurück nach Lima mit dem Flugzeug.  

 

Was haben wir gelernt?

 

Nicht alle Peruaner können in Lima leben. So wie nicht alle Zuwanderer in Deutschland, nicht  alle Deutschen in der Schweiz und nicht alle Schweizer in Monaco leben können.

 

Die Probleme in Villa El Salvador sind nicht der Müll, auch nicht die Hunde sondern der Verkehr. 

 

Viele der hiesigen Probleme (Energiewende, Gender, Tempo 30, Feinstaub) sind so putzig wie die Lösungen dafür. Impuls das Schwäbische Tagblatt abzubestellen.

 

Reisen bildet sagt man. Ja es bildet Urteilsfähigkeit und Demut aus.